Am kommenden Sonntag, 24. September ist der Tag des Denkmals. Der Mariendom präsentiert an diesem Tag das Projekt MEER WOGEN der Hörstadt. Wir haben mit Schallkünstler Peter Androsch über die Hintergründe dieses Projektes, über Klang und Stille und die akustische Unverwechselbarkeit des Mariendoms gesprochen
Das Projekt MEER WOGEN
Androsch: „Auslöser des Projektes war der vor einigen Jahren vor Gericht ausgetragene Konflikt eines Anrainers mit dem Dom rund um das nächtliche Glockenläuten. Gemeinsam mit meinen Studentinnen und Studenten an der Kunstuni Linz haben wir uns die Frage gestellt: Was bedeutet akustische Ökologie? Während des Corona-Lockdowns hat die Künstlerin Polina Khatsenka neben dem Dom gewohnt und einen Tag lang, es war der 11. Jänner 2021, jeden Glockenklang des Mariendoms aufgenommen. Wir wollten einfach einmal wissen, wie lange die Glocken im Zeitraum von 24 Stunden zu hören sind. Und es war genau 1 Stunde 12 Minuten und 29 Sekunden. Die Aufnahme wurde von der Künstlerin dann komprimiert und dieses Meer aus Klang ergießt sich am kommenden Sonntag fünf Stunden lang in die Turmkapelle West.“
Unverwechselbarer Klang
Androsch: „Für uns dabei spannend: Klang ist immer etwas Dreidimensionales. Er bildet sich unterschiedlich aus, je nachdem, wie sich die Schallwellen im städtischen Gefüge verbreiten können. Wenn man rund um den Dom spaziert, hört man die Glocken manchmal sehr laut, manchmal fast gar nicht, obwohl die Luftlinie immer die gleiche ist. Das hat einfach mit den Reflexionen zu tun, die es an den Gebäuden gibt, am Boden, an der Beschaffenheit der unmittelbaren Umgebung. Und dieser Klang ist ein unverwechselbares Identifikationszeichen für den Dom. Gar nicht so sehr der Klang der einzelnen Glocken, sondern viel mehr die Reflexion der Stadt auf diesen Klang.
Dafür gibt es in der Technik ein sehr schönes Wort: Raumantwort. Die Antwort des Raumes auf den Klang. Und das ist es, was ein Bauwerk wie den Mariendom nicht nur optisch einzigartig macht. Wer genau hinhört, hört, dass es oft akustisch unverwechselbarer ist als visuell. Es gibt keine Kirche auf der Welt, die so klingt wie der Mariendom.
Auch die Intentionen der Gesellschaft kann man in den akustischen Eigenschaften eines Gebäudes ablesen. Als neugotisches Bauwerk hat der Dom beispielsweise Schalleigenschaften, die in der Gotik gefragt waren. Damals ist es darum gegangen, die Menschen sinnlich zu überwältigen und ihnen so den Weg zu Gott zu weisen. Durch Gerüche, durch Farben und Malereien, durch Gesang und Klang. Der Wert der Sprachverständlichkeit zwischen Klerus und Kirchenvolk war damals nicht in der Form gegeben wie heute.“
Über die Stille in einer Kirche
Androsch: „Im physikalischen Sinne gibt es keine Stille. Die Luft bewegt sich, es gibt keine Sekunde in unserem Leben, die nicht Schall produziert. Denken wir nur an die Befruchtung — Same und Ei, sich teilende Zellen – dabei passiert Bewegung und sobald Bewegung ist, wird Schall erzeugt. Schall ist Leben.
Die vermeintliche Stille, zum Beispiel in einer Kirche, ist etwas Wunderbares und heute immer noch ein ‚Trumpf‘ der Kirche, der aus meiner Sicht viel zu wenig ausgespielt wird. Was da wesentlich mitspielt, ist der akustische Horizont eines Bauwerks. Je weiter ich höre, desto besser kann ich mich orientieren. Und in einer Kirche wie dem Mariendom ist dieser Horizont natürlich extrem. Du hörst fast alle Ecken des Raumes ab.“
Über die Faszination des Mariendoms
Androsch: „Der Mariendom ist zum einen kunsthistorisch interessant. Warum ist er gebaut worden und warum genau zu diesem Zeitpunkt? Man kann an ihm die Eckpunkte der oberösterreichischen Geschichte ablesen.
Und es gibt in meiner Umgebung keinen zweiten Raum mit einer derartigen Klangmacht wie der Mariendom. Das kann man natürlich bewusst nutzen und einsetzen, wie zum Beispiel bei der 75-Jahre-Feier der Caritas Oberösterreich. Zwei Orgeln, Chor, Orchester … wann hat man schon 10 Sekunden Nachhall?“